Falli-Hölli Erdrutsch

Ende Winter 1994 wurde ein alter Rutschhang in den Freiburger Voralpen unerwartet rasch reaktiviert. Auf dem Gebiet der Gemeinde Plasselb wurde die Ferienhaussiedlung Falli Hölli vollständig zerstört. Die Schäden an den rund 30 Gebäuden betragen über 15 Millionen Franken. Das Geologische Institut der Universität untersucht diese Jahrtausendrutschung im Rahmen eines Forschungsprojektes über Hangstabilitäten.



Ein grosser Anriss befindet sich am Grat des Schwybergs auf einer Höhe zwischen 1560 und 1645 Metern ü.M. Die Hauptfront der Rutschung mündet bei ca. 1000m ü.M. in den Höllbach, wo das Material als Schlammstrom weiter Richtung Aergera geflossen ist. Bei einer Länge von 2 Kilometern und einer maximalen Breite von 700 Metern erhält man, kombiniert mit der Tiefe (ca. 40m), ausserordentliche Massenzahlen: Die Rutschfläche und das -volumen betragen ca. 1.5 km2, bzw. 40 Millionen m3. Das Rutschmaterial besteht aus Quartärablagerungen: kompaktierte Moränen, Murgang- und Schlammstromablagerungen, altes sowie rezentes Rutsch- und Felssturzmaterial. Der anstehende Fels ist aus Tonmergel- und Sandsteinablagerungen zusammengesetzt. Die mit rund 40° Richtung SSE einfallenden Sedimentschichten gehören zum Gurnigelflysch und weisen ein Alter von der Kreide bis zum frühen Tertiär auf. Die monoklinale Struktur der zum Teil unvollständigen Flyschschuppen prägt die lokale Morphologie. Teils über 100m dicke Sandsteinkörper spielen im Verhalten und in der Ausdehnung des Rutschkörpers eine vorherrschende Rolle.

Entwicklung und Prozesse

Als man im März 1994 zwei Mal die Leitungen für die Trinkwasserversorgung reparieren musste, wurden gewisse Personen nachdenklich. Damals bewegte sich eine schmale Rutschzunge Richtung Quartier. In der Folge vergrösserte sich die Rutschung Richtung Westen und Norden, bis schliesslich alle Gebäude in Bewegung gerieten. Bereits im Mai konnte man am Steilhang bei 1350m verschiedene Murfronten unterscheiden. Sie sind wahrscheinlich auf den Überdruck im Quellhorizont unterhalb der massiven Sandsteinschichten zurückzuführen. Später floss dieser Schlammstrom (Geschwindigkeit bis zu 20m/Std) Richtung Ferienhaussiedlung. Auf der Höhe von 1261m wurde eine Alphütte übermurt (7.94).

Drei Bohrungen wurden realisiert. In der ersten fand man Gleithorizonte in 6.9m, 10m und 13.7m Tiefe. In den Bohrkernen der zweiten Sondierung findet man bis auf 50m Tiefe abgelagertes Material und keinen Fels, dafür zwei Gleithorizonte bei 22 und 37 Metern. Die dritte Bohrung erreichte das Flyschgestein bei 42m. Einen deutlichen Gleithorizont fand man bei 23m Tiefe. Verschiedene Holzreste in den Murgangsedimenten der 2. Bohrung ergaben folgende Alter: 2400 BP (-2m), 3020 BP (-11m), 2800 BP (-14m) und 4880 BP in 15m Tiefe (BP = before present, C14-Datierungen der UNIBE und ETHZ). Dann folgen ca. 13m gerutschtes Moränenmaterial auf einer weiteren Murgangablagerung. Aus diesem Ereignis wurden ebenfalls zwei Gramm Holzfasern entnommen: Die Datierung von 4015 Jahren BP bestätigt den obigen Trend: Die Erdmassen wurden zwischen 2'000 und 5'000 BP mehrmals (re-)aktiviert und umgelagert. Wahrscheinlich fand ein ausserordentliches Ereignis vor 2800 Jahren statt.

Die Bewegungen an der Oberfläche werden mit GPS auf knapp 100 Punkten gemessen. Die Kurven zeigen eine deutliche Beschleunigung bis Anfang August. Mit der Formel von Fukuzono konnte diese Krise, Verschiebungen von über 5m pro Tag, vorausgesagt werden. In der selben Phase erreichte die Rutschfront den Höllbach. Danach verlangsamte sich die Masse. Heute (Jan. 95) ist diese Rutschung wieder ruhig.

Ursachen

Es stellt sich die Frage, wieso dieser Hang seit vielleicht 2400 «ruhigen» Jahren wieder derart reaktiviert wurde! Mit zum Teil über 50 Metern Moränen-, Felssturz- und Murgangmaterial sind Instabilitäten bei derartigen Neigungen jedoch keine Ueberraschung. Aus der vorhin beschriebenen Entwicklung geht hervor, dass sich die Rutschung über mehrere Jahre hinweg «vorbereitet» hat.

Die Ursachen der ausserordentlichen Reaktivierung sind noch nicht vollständig analysiert.

Man kann jedoch sagen, dass keine wichtigen Erdbeben zwischen Oktober 93 und Mai 94 registriert wurden.

Der 12-monatige Niederschlag zwischen dem 1.6.93 und dem 31.5.94 war mit Abstand der höchste in der vergangenen Messperiode (Mittel + 36%).

Entscheidend ist der Anriss aus dem Sommer 93. Negative Vorraussetzungen bildeten zudem grosse Vernässungszonen und eine chaotische Hydrographie in der Chlöwena. Der Quellhorizont am Fusse des Steilhanges (1340-1400 m ü.M.) spielte in der Bildung der Schlammströme eine grundlegende Rolle: An der Stelle der massiven Sandsteine musste das von oben kommende Rutschmaterial über die Schwelle, mit Quellwasser und lokalen Quartärablagerungen vermischt reagierte es murgangartig.

Folgerungen

Die Geschichte dieses Rutschhanges zeigt uns, dass im Zeitraum zwischen 4880 und 2400 Jahren BP mehrere grosse Krisen stattgefunden haben. Die heutigen Massenbewegungen entsprechen dieser Art und Grössenordnung. Ob in den letzten 2400 Jahren nur kleinere Ereignisse vorgekommen sind, kann man auf Grund der heutigen Kenntnisse nicht mit Bestimmtheit sagen. Naturgewalten haben die Siedlung Falli Hölli vollständig zerstört und beträchtlichen Schaden angerichtet. Die Geschichte der Baubewilligung wird derzeit rechtlich überpüft, zudem hat der Staatsrat die Bebaubarkeit von Bauzonen in anderen kritischen Gebieten überprüfen lassen. Solche Ereignisse unterstreichen die Wichtigkeit von Naturgefahrenkarten, um eine bessere Raumplanung zu erreichen.